Die Einparkhilfe von Ottensen
Mit sichtlichem Vergnügen verfolgten zahlreiche Passanten eine Szene, die sich am Samstag in der Ottenser Hauptstraße, einer kleinen Einkaufsstraße im Hamburger Stadtteil Ottensen, abspielte.
Eine Frau stand mit vorgebeugtem Oberkörper auf dem Gehsteig, um Blickkontakt zu einem Mann herzustellen, der bei geöffnetem Seitenfenster im Inneren eines Kombiwagens saß, vermutlich ihr Ehemann.
In dieser gebückten Haltung führte sie gleichzeitig beide Arme in weit ausholenden Bewegungen immer wieder vor ihr Brustbein und rief: »Schau auf mich, Schatz. Schau auf mich!«
Erst jetzt begriff ich die Situation, die, gemessen an der Zuschauermenge, wohl schon eine ganze Weile andauerte: Hoppla, die Frau hilft ihrem Mann beim Einparken.
Wobei, nach Hilfe sah es für mich nicht aus. Dem Mann schien es eher peinlich zu sein, dass seine Frau da draußen auf dem Gehweg als Park-Pilotin fungierte, während die Einparkhilfe im Wageninneren einen deutlichen Signalton von sich gab.
Das war wohl auch der Grund, warum sich die Passanten so köstlich amüsierten: Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen Park-Pilotin und Einparkhilfe.
»Schatz, schau auf MICH!«, tönte es wieder, als der Mann in einem unbeobachteten Moment hilfesuchend auf seine Einparkhilfe schaute. Dabei verlieh sie dem Wort ‚mich‘ einen gefährlich klingenden Unterton dadurch, indem sie die Lippen nach innen einsog, so, dass nur noch ein schmaler Strich ihres Mundes zu sehen war, bevor sie das Wort ‚mich‘ wie einen rotierenden Tomahawk durch das geöffnete Seitenfenster ihrem Mann entgegenschleuderte: »Schau auf MICH!«
»Ja, so ist es gut«, lobte sie ihn beim Rückwärtsfahren und zeigte mit ausgestreckten Armen den Abstand zum hinteren Hindernis an, das zwar auch die Einparkhilfe erkannt hatte, aber im Gegensatz zu der Park-Pilotin beruhigende Signale von sich gab.
»Stopp! Jetzt vorwärts und nach rechts einschlagen, Schatz. Nach rechts.«
Dabei deutete sie in Hüfthöhe mit einer ausholenden, völlig übertriebenen halbkreisförmigen Bewegung ihres rechten Armes die Richtung an, in die er das Lenkrad drehen sollte, als wäre der Mann hinter dem Lenkrad taub.
Dem Mann im Auto war die Verlegenheit anzumerken, was zur weiteren Belustigung der immer größer werdenden Zuschauermenge beitrug. In Amerika wäre bei einem ähnlichen Szenario längst ein mobiler Hot-Dog-Stand aufgetaucht.
»Weiter. Weiter. Stopp!«. Die Park-Pilotin klatschte die Handflächen zusammen, um zu signalisieren, dass es nicht mehr weiterging, obwohl aus dem Wageninneren ein Piepton das Gegenteil predigte. Lächelnd senkte der Mann kurz den Kopf, bevor er wieder Blickkontakt zu seiner Frau aufnahm, die inzwischen ans Wagenende gewechselt war und in ihrer gebückten Haltung ihrem Mann zurief:
»Schau auf mich, Schatz. Nach links einschlagen, nach links. Auf elf Uhr«.
Das wäre jetzt der perfekte Moment für eine La-Ola-Welle, dachte ich mir und verfolgte die Situation ebenso amüsiert wie viele andere auch.
Nach einigem Hin und Her stand das Auto endlich in der Parklücke.
Die Versammlung löste sich auf. Einige Zuschauende applaudierten spontan, was die Frau erstaunte und verärgert aufblicken ließ. Offensichtlich hatte sie nicht mitbekommen, welch wunderbares Spektakel sie uns geboten hatte.