Kinder im Kinderwagen mit Blick in Fahrtrichtung
»Schreib nicht darüber«, warnte mich ein guter Freund. »Du wirst dir den Zorn aller Mütter zuziehen, die ihr Kind im Kinderwagen mit Blick nach vorne transportieren.«
Da ist was dran: Nichts ist gefährlicher, als einer Mutter das Gefühl zu geben, man unterstelle ihr einen Fehler im Umgang mit ihrem Kind.
Aber was soll ich machen? Weiterhin schweigen und mich nur insgeheim wundern?
Meine Tochter war es, die mir auftrug, es Robin Hood gleichzutun und unsere Kleinsten vor der Willkür der Herrschenden (Eltern) zu beschützen. Zumindest vor jenen, die ihre Kinder in Kinderwagen mit Blick in Fahrtrichtung befördern, wo sie mutterseelenallein sich selbst überlassen sind – ohne jede Möglichkeit eines visuell-verbalen Kontakts zu einem vertrauten Gesicht.
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Dabei sollte bekannt sein, dass gerade dieser Kontakt entscheidend für die emotionale Bindung und das Sicherheitsgefühl eines Kindes ist – ganz abgesehen von der positiven Wirkung auf die sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung. Offenbar scheint das in Vergessenheit geraten zu sein. Oder wird die Abschottung bewusst dem Komfort geopfert, um in Ruhe telefonieren zu können?
Völlig auf sich allein gestellt, müssen die Kleinen unzählige Eindrücke verarbeiten: Menschen, die hastig an ihnen vorbeieilen, Sirenen, Hupen, das Dröhnen des Verkehrs; grelle Lichter, Schaufenster voller Reize; Hunde, die sie neugierig anschauen.
Man braucht nicht viel Einfühlungsvermögen, um zu verstehen, wie stressig das für ein Kind sein muss.
Und wie steht es überhaupt mit der Aufsichtspflicht, um in einer bedrohlichen Situation sofort eingreifen zu können? Zum Beispiel bei Erstickungsgefahr durch Verschlucken, Überhitzung oder Unterkühlung, Insekteneinfall oder Selbstverletzung durch herabhängende Füße oder Arme? Wie reagiert wohl ein Staatsanwalt, sollte ein Kind durch einen Insektenstich zu Schaden gekommen sein, der nicht durch den Elternteil bemerkt worden ist, weil keinerlei Sichtkontakt zu dem Kind bestand?
»Schreib darüber, Papa. Mach den Robin Hood. Und wenn auch nur ein einziges Elternpaar einen Kinderwagen kauft, in dem das Kleine nicht in Fahrtrichtung geschoben wird, haben sich die Zeilen gelohnt«, sagte meine Tochter.
Auftrag erledigt.