Ich kann auch Schwein sein.

Voller Vorfreude steuerte ich mit meinem Kuchen auf den einzig verbliebenen Fensterplatz im Alsterhaus-Restaurant zu. Für mich gibt es nichts Schöneres, als bei strahlend blauem Himmel auf die Binnenalster zu schauen und dabei ein Stück Erdbeerkuchen mit einem ordentlichen Klecks Sahne (6,80 €!!) zu genießen.

Ich war fast am Ziel, als mich von links etwas Vollschlankes überholte und den Platz meiner Träume mit einer Selbstverständlichkeit in Beschlag nahm, die mich missmutig stimmte.

Mein Ärger währte jedoch nur kurz – ebenso wie mein Wunsch, der Stuhl möge unter ihr zusammenbrechen. C’est la vie.

Doch mit sellawie war es schnell vorbei, als die von oben bis unten aufgepimpte sehr junge Frau mit den sorgsam gekämmten, langen schwarzen Haaren nicht etwa ihr Tablett mit dem Essen auf den Tisch stellte, sondern eine Brotdose.

Es dauerte nicht lange, bis sie mit den Fingern der linken Hand genüsslich einen Happen nach dem anderen in die Öffnung zwischen ihren Schlauchbootlippen schob, während die rechte unentwegt die Handytastatur bediente. Die überlangen, aufgeklebten Plastikkrallen erzeugten dabei ein spechtähnliches Klopfen, das mir gehörig auf die Nerven ging.

Als mich dann auch noch ihre Duftwolke erreichte – schneidend und aufdringlich wie ein billiger Lufterfrischer in einer überhitzten Bahnhofstoilette –, war es vorbei mit Yin und Yang.

Kurz überlegte ich, ob ich zu ihr hinübergehen und ihr meinen Unmut über Leute mitteilen sollte, die sich auf lau in einem Restaurant breitmachen. Ich ließ es jedoch bleiben – vermutlich hätte sie mir nur Worthülsen entgegengeschleudert, etwa: „Mach mal halblang, Digger! Oder bist du hier der Gastro-Regelhengst?“

Stattdessen stopfte ich mir auf meinem billigen Platz den teuren Restkuchen in den Mund und eilte hinaus, um mich beim Küchenchef zu beschweren.

Aus der Tür trat eine blonde, kräftig wirkende Frau. Breitbeinig baute sie sich vor mir auf und wischte sich dabei mit einem Küchenhandtuch über die muskulösen Unterarme – als hätte sie eben noch bis zu den Ellenbogen etwas Matschiges geknetet. Ihre Augen fixierten mich ruhig und gelassen. Anscheinend dachte sie, das schmale Männchen vor ihr wolle sich über das Essen beschweren. 

Erst als ich ihr erklärte, dass ich es nicht in Ordnung fände, wenn die Person dort am Fenster mit Blick auf die Binnenalster sich aus ihrer mitgebrachten Brotdose versorgt, ohne einen einzigen Cent ans Restaurant zu zahlen, verflog ihr Argwohn. Wortlos machte sie sich auf den Weg zur Gepimpten mit der Brotdose.

Aus der Ferne beobachtete ich die Szenerie. Wie nicht anders zu erwarten, entschuldigte sich die Dame nicht, sondern verließ –  einer Majestätsbeleidigung gleich – lautstark protestierend und strammen Schrittes den Raum.

Und ja, als sie an mir vorbeirauschte, gab ich mir tief in meinem Inneren vor lauter Freude die Becker-Faust. 

Ich kann auch Schwein sein.