Ein Mann, ein Bett, eine Wanze
Sie kennen das: Es gibt Tage, an denen man sich so richtig auf sein Bett, den Schlaf und den nächsten Tag freut.
So einen Tag hatte ich letzten Freitag: Das Buch zur Seite gelegt, den letzten Schluck Rotwein genossen. Licht aus, hinüber ins Schlafzimmer. Licht an. Warme gelb-orange Farben schaffen eine beruhigende Atmosphäre in meiner Wohlfühlhöhle.
Entspannt löse ich den Gürtel meines Bademantels, während mein Blick sanft durch den Raum schweift – als mir plötzlich der Atem stockt. Was war das? Was bewegt sich da?
Auf meinem schneeweißen, faltenfrei gespannten Bettlaken kommt etwas Schwarzes unter der zurückgeschlagenen Bettdecke hervorgekrochen, so groß wie ein Ein-Cent-Stück, mit der eckigen Form eines Tarnkappenbombers.
Es eilt nicht davon, wie man es von kleinen Tieren gewohnt ist, die flüchten, sobald sie sich ertappt fühlen. Nein, es stakste gemütlich auf seinen dünnen Beinen umher, mal nach links, mal nach rechts – und machte auch sonst keinerlei Anstalten zu fliehen. So etwas Respektloses!
Es sieht so aus, als hätte das Tier mein Bett bereits als SEIN neues Zuhause auserkoren, so selbstgefällig und angstbefreit, wie es da so herumstolziert.
Wäre es schnell davongelaufen und hätte Schutz unter der Bettdecke gesucht, hätte ich ein Versehen dahingehend vermutet, dass das Tier eher zufällig auf meinem Bett gelandet ist und schnell das Weite in einer sicheren Fußleiste zum Beispiel.
Es läuft aber nicht davon. Es tut so, als wäre ich überhaupt nicht anwesend.
Diese Respektlosigkeit ist es, die mich so richtig wütend macht.
Was ist zu tun?
Rücklings bewege ich mich langsam zur Tür hinaus, hole aus der Küche ein leeres Glas und stülpe es vorsichtig über das Tarnkappenbomber-Insekt. Dann mache ich ein Foto.
Die Google-Bildersuche identifiziert es als “Stink- oder Baumwanze”.
ChatGPT schreibt: Diese Wanzenart ist für den Menschen ungefährlich, kann aber ganze Ernten vernichten. Da sie keinen Schutzmechanismus gegen Kälte haben, suchen sie sich zu Beginn der kalten Jahreszeit ein warmes Plätzchen an trockenen, geschützten und frostfreien Plätzen in Ritzen oder im Haus hinter Möbeln, Gardinen oder Fußleisten, die sie im Frühjahr wieder verlassen und nach draußen ziehen.
Diese nicht. Diese ist gekommen, um zu bleiben!
Weiter heißt es: „ Wenn man auf sie trifft, sollte man sie vorsichtig nach draußen umsiedeln.”
Ha, damit sie bei nächster Gelegenheit wieder ins Haus zurückkommt, oder was?
Nashörner siedelt man um, oder Elefanten – aber doch keine Stinkwanzen.
Glauben Sie mir: Ich töte keine Tiere. Auch keine Fliegen oder Bienen, die sich in meine Küche verirren. Aber diese arrogante, hässliche Stinkwanze, die sich so selbstverständlich über mein Bettlaken bewegt, als gehöre ihr das Bett bereits, werde ich töten. Und es wird schnell gehen. Es muss schnell gehen, denn weiter stand geschrieben,
dass Stinkwanzen deshalb Stinkwanzen heißen, weil sie bei Gefahr ein übel riechendes Sekret absondern, das sogar allergische Reaktionen hervorrufen kann.
Soweit kommt es noch, dass ich auch noch die Bettwäsche wechseln oder – schlimmer noch – Kreislaufprobleme durch diesen Stinker bekomme.
Ich rufe meinen besten Freund an.
Dumpfe monotone Bässe und fröhliches Gejohle sind im Hintergrund zu hören.
“Freddie? Hallo? Hallo? Freddie?”
“Hey, was gibt`s?”
“Freddie, hör zu.Ich hab ein Problem. Ich hab eine Stinkwanze in meinem Bett.”
“Glückwunsch, Alter. Das wurde auch mal wieder Zeit. Hatte ich übrigens vor ein paar Wochen auch. Fürchterlicher Achselgeruch. Du musst durch den Mund atmen, hörst Du? Durch den Mund. Dann ist es weniger schlimm. Ich muss jetzt auflegen, alter Freund. Viel Spaß.”
“Nein, Freddie, nein. Es handelt sich nicht um eine Frau, Freddie. Hörst du? Es ist eine StinkWANZE in meinem Bett, ein Insekt, und vermutlich sind noch mehr in der ganzen Wohnung verteilt.”
“Äh, wie ekelhaft. In der ganzen Wohnung, sagst Du? Ach du liebes Lottchen!
Da gibt es nur eins, mein Lieber – abfackeln, die Hütte einfach abfackeln!” Er lacht und legt auf.
Gut, wenn man in höchster Not einen Freund hat.
Vorsichtig schiebe ich ein Blatt Papier zwischen Bettdecke und Stinkwanze und eile ins Bad.
Mit dem flachen Ende eines Bleistifts will ich ihr den Garaus machen – doch es funktioniert nicht. Ihr Panzer ist so hart, als würde ich auf eine Haselnuss drücken.
Ich schüttel sie im Glas hin und her, bis sie auf dem Rücken liegt. Dann stoße ich zu, mit dem vollen Gewicht meines Körpers.
Schnell wickle ich den Kadaver in ein Stück Klopapier ein, bevor er anfängt zu stinken, und entsorge ihn über die Klospülung. Anschließend desinfiziere ich das Glas und fülle es vorsorglich mit heißem Wasser, dem ich einen Schuss Essigessenz hinzufüge. Sicher ist sicher.
Zurück im Schlafzimmer rieche ich am Bettlaken – negativ.
Aber was, wenn die Stinkwanze nicht allein war, sondern tatsächlich mit ein paar Kumpels ins Schlafzimmer eingedrungen ist und sie sich verteilt haben?
Mit einem heftigen Ruck reiße ich die Bettdecke aus dem Bett. Nichts. Auch unter dem Kopfkissen: Fehlanzeige. Matratze untersucht, inklusive Matratzenschoner und Lattenrost. Beistelltische, Schlafsessel, Gardinen. Keine Spur von den anderen Kumpels.
Vielleicht sind sie in Deckung gegangen und würden sich erst in vollkommener Dunkelheit wieder hervortrauen?
Eingewickelt in meine Wolldecke lege ich mich im Schlafsessel auf die Lauer – die Stirnlampe auf dem Kopf.
Ab und zu schalte ich sie ein und lasse den gleißenden Lichtstrahl wie einen Wachturm-Scheinwerfer durch die Finsternis gleiten.
Ich überlege, wie es weitergehen soll?
Könnte ich morgen schon wieder in meinem Bett schlafen, in dem tags zuvor meine Privatsphäre durch ein fremdes Insekt verletzt wurde – so sehr, dass ich mich nicht mehr sicher fühle?
Man liest immer wieder, dass Leute nach einem Einbruch sogar die Wohnung wechseln, weil das vertraute Gefühl von Sicherheit verloren gegangen ist und sie ständig mit einer Wiederholung rechnen.
Ob Einbrecher oder Stinkwanze – beide zerstören das Sicherheitsgefühl, weil sie ungefragt in die Privatsphäre eingedrungen sind und sie es jederzeit wieder tun könnten.
Wer sagt mir, dass morgen nicht wieder eine Stinkwanze in meinem Bett ist? Oder übermorgen?
Werde ich fortan des nachts wach und frage mich, ob das Jucken dort unten an meinem Unterschenkel harmlos ist oder der Biss einer Stinkwanze? Sind es Schuppen in meinem Haar, die den Juckreiz auslösen oder das Sekret einer Stinkwanze, die sich durch meine wühlenden Finger bedroht fühlt?
Würde es helfen, wenn ich mir eine neue Matratze kaufe?
Oder sollte ich eine Woche nach Mallorca fliehen, während der Kammerjäger die komplette Wohnung eingast?
Der Morgen dämmert bereits, als mir kurz vor dem Einschlafen die erlösende Idee kommt: Wenn Stinkwanzen aus der Kälte in die Wärme fliehen, ist es doch clever, die Temperatur in meiner Wohnung den Außentemperaturen anzupassen. Dann kämen sie erst gar nicht auf die Idee, bei mir einzuziehen.
Mein Pelzmantel aus der Hippiezeit wird mich gut durch den Winter bringen.