Kurzgeschichte
Die Einparkhilfe: Publikumsliebling wider Willen.
Es war einer dieser Samstage, an denen die Welt einfach schön ist. Die Sonne schien so warm und übertrieben golden vom Himmel, dass selbst das altbackene Kopfsteinpflaster der Ottenser Hauptstraße glänzte wie frisch gebohneter Saalboden. In der schmalen Einkaufsstraße schlenderten die Menschen an den vielen kleinen Läden vorbei, überall duftete es nach Croissants und Espresso.
Ein paar Meter weiter blieben die Leute plötzlich stehen und amüsierten sich köstlich über eine Szene, die sich ihnen bot.
Da stand eine Frau in einem strahlend rosafarbenen, flatternden Chiffonkleid, als hätte es den ganzen Sommer in sich gefangen.
Sie war schlank, Anfang dreißig. Und sie rief etwas. Nicht leise, nicht zärtlich, wie es ihrem Äußeren entsprochen hätte, sondern laut, sehr laut, holzfällerlaut:
„Schau auf mich, Schatz! Schau auf mich!“

Dabei stand sie wild gestikulierend hinter dem Auto, den Oberkörper weit nach vorne gebeugt, um Blickkontakt mit dem Fahrer aufnehmen zu können.
»Schau mich an. Schau mich an und nicht die Einparkhilfe, Schatz! Links, jetzt rechts. Stopp! Stopp!«
Dem Mann im Auto, etwa gleichaltrig, vielleicht ein paar Jahre älter, war das lautstarke Dirigieren seiner Frau – es musste seine Frau sein – sichtlich peinlich.
Hilflos und achselzuckend blickte er in die Reihe der Schaulustigen am Wegesrand, die Einkaufstaschen oder Kaffee zum Mitnehmen in den Händen hielten. Sie schienen sich köstlich zu amüsieren: sie lachten, nickten sich zu oder deuteten mit den Köpfen auf das querstehende Fahrzeug, während sich hinter der ersten Zuschauerreihe eine zweite zu bilden begann.
Die Frau im Rückspiegel signalisierte ihm: Rot! Er empfand: Grün, genau wie die Anzeige der Einparkhilfe, die langsam ihre Geduld verlor. Normalerweise widerspricht man Einparkhilfen nicht.
»Schatz! Ein Stück nach vorn und nach links drehen! Auf elf Uhr! Dann zurück mit rechts!«
Der Mann im Wagen gehorchte. Nicht schnell. Nicht freiwillig. Eher pflichtschuldig – wie jemand, der weiß, dass Widerstand Folgen haben würde. Schließlich steht ein ganzes Wochenende bevor und er würde heute Nacht wieder neben ihr liegen.
Also fuhr er bereitwillig vor, drehte das Lenkrad wie befohlen nach links und setzte zurück, den Blick rückwärts gewandt – Schulterblick. Beim Rückwärtsschauen streifte sein Blick die Einparkhilfe vielleicht für eine Miilisekunde. Vielleicht war es auch eine ganze Sekunde, jedenfalls nicht mehr als zwei, maximal drei.
Sofort röhrte es von hinten:
»Schatz, nicht die Einparkhilfe! Sieh mich an! Hieaah! Ja, so ist es gut. Weiter. Noch ein Stück. Stopp! Stopp! Noch mal vor – und mehr nach rechts!«
Er legte den Vorwärtsgang ein, obwohl die Signale der Einparkhilfe etwas anderes befahlen. So macht Einparken keinen Spaß, dachte er bei sich und schaute zu den Passanten auf dem Bürgersteig.
„In Amerika würden sie jetzt Wetten abschließen”
Mit einem heftigen Ruck legte er den Rückwärtsgang ein und starrte mit festem Blick unerschütterlich auf das Display der Einparkhilfe.
Trotz der wütenden Proteste aus dem rückwärtigen Raum setzte er sein Tun unbeirrt fort. Noch einmal ein Stück nach vorn, Lenkrad einschlagen, zurücksetzen – und das Auto stand perfekt in der Parklücke.
Beifall wurde geklatscht, als der Fahrer mit gerötetem Kopf und leicht verblasster Würde ausstieg.
Sein schüchternes Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war, als er seiner Frau in die Augen sah. Doch der strenge Blick verwandelte sich im Bruchteil einer Sekunde in ein lächelndes Gesicht, und als sie ihm entgegen ging und ihn umarmte, brandete noch einmal Applaus von beiden Seiten der Straße auf. Das Wochenende kann kommen.