proTango e.V.
Teil 1: Was soll das? Der Verein proTango e.V. möchte eine bundesweite Interessenvertretung für den Tango Argentino sein?
Normalerweise findet man es am Schluss, das Fazit. Ich stelle es mal an den Anfang.
Fazit
Mein ganz persönlicher Eindruck:
Dieser Verein wurde anscheinend gegründet, um Existenzängste zu mindern durch Gewinnmaximierung. Mit der Weiterentwicklung der Tangokultur wird er wenig zu tun haben und ist daher auch für uns TänzerInnen vollkommen überflüssig.
Die falschen, zum Teil widersprüchlichen Eintragungen zwischen Webseite und Satzung, die geradezu stoische Weigerung, Korrekturen diesbezüglich vorzunehmen – obwohl mehrfach von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen -, lassen wenig Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Thema Tangokultur erkennen und tragen wenig zur Vertrauensbildung bei. Alles wirkt irgendwie zusammengeschustert. Da passt es auch, dass der Verein proTango e.V. noch nicht einmal einen Eintrag auf der eigenen Webseite des I. Vorsitzenden findet.
Zudem scheinen grundlegende Kenntnisse über die Kultur des Tangos zu fehlen, was allein schon die Wortwahl anbelangt. Der Verein beruft sich u.a. auf das Weltkulturerbe Tango, der den Tango des Rio Plata meint (Argentinien und Uruguay), beschreibt in seinen Ausführungen allerdings den “Tango Argentino”, der noch nicht einmal von zahlreichen Vorständen und Mitgliedern in ihrer Funktion als Veranstalter und Unterrichtende praktiziert wird. Sie haben sich dem Regelwerk des “Encuentro” verschrieben, das mit dem Tango Argentino nur wenig gemein hat.
Das ist so, als würde eine Bäckerei großspurig mit einer breiten Palette an selbst gemachten Torten werben, diese aus Werbegründen tiefgefroren bei Coppenrath & Wiese bestellt und letztendlich nur Streuselkuchen verkauft.
Bei allen Erklärungsversuchen, es bleibt der Eindruck, dass der Vereinszweck einzig und allein der Bereicherung einzelner Personen dienen soll.
Es scheint, dass sich die Gründungsväter/Gründungsmütter weniger mit der Kultur des Tangos beschäftigt haben, als mit der Möglichkeit, wie man mit ihr am besten Geld verdient.
Auch das Vereinsvideo, technisch hervorragend gemacht, umrahmt von der wunderbaren Stimme von Iwan Harlan, ist inhaltlich eher eine Peinlichkeit. Dieses wehleidige Gejammere und Gezeter über die armen „Tangoschaffenden“ in der Pandemie, die nun bald nichts mehr für den Erhalt der Tangokultur tun können, ist eher peinlich, und soll anscheinend nur einem Zwecke dienen, die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Dieses Video wirkte auf mich derart schleimig, dass ich versucht war ein Handtuch unter meinen Bildschirm zu legen.
Mit dem Spirit des Tangos hat dieses Video indessen wirklich nichts zu tun. Hier versuchen einige Selbstständige sich den Gesetzen der freien Marktwirtschaft zu entziehen auf Kosten anderer, um sich eine Art Beamtenstatus zuzulegen, der kontinuierlich sichere Einnahmen garantiert.
Ich halte es für durchaus möglich, dass der Verein pro Tango e.V. einer Weiterentwicklung des Tangos eher entgegensteht. Die „europaweite“ Zusammenarbeit ist nicht näher erklärt und öffnet Spekulationen Tür und Tor. So ist durchaus ein interner Vereinszweck denkbar, sich gegenseitig Tangoveranstaltungen zuzuschanzen, in denen vereinsgetreue Musikaufleger, Tangomoden und Tangoreisen mitbedacht werden. Wobei die Unterrichtenden am meisten profitieren könnten, indem sie sich untereinander Workshops zuschanzen, im gegenseitigen bundes- und europaweitem Austausch, selbstredend.
Das bedeutet, dass beispielsweise eine Tanzlehrerin aus Hannover mit einem Tanzlehrer aus Stockholm einen Workshop in Schweden anbietet und im Gegenzug der schwedische Tanzlehrer irgendwann nach München eingeladen wird.
Wiederholt sich dieses Karussell permanent, lohnt es sich finanziell auf alle Fälle für die Unterrichtenden, die Betreiber, für die Musikaufleger, die Tangomoden etc, alle, die mit diesem Zirkus durch die Lande ziehen. Dieses inzuchtöse Modell
lohnt sich nicht für uns TangotänzerInnen. In dieser Monokultur bleibt die Tangokultur auf der Strecke und würde somit im krassen Widerspruch zu dem stehen, was die UNESCO mit der Vergabe des Weltkulturerbes bezweckte und für das sich der Verein Tango e.V. gemäß seiner Ausführungen eigentlich einsetzen wollte.
So ein Zirkusverbund wäre ähnlich trist, als würden wir ausnahmslos unsere Möbel bei IKEA beziehen, unsere Klamotten bei C&A kaufen und nur noch Urlaub an der Ostsee machen.
Schlimmer noch: Bei einer derartigen Entwicklung würde in naher Zukunft der Tango hier in Deutschland derart verwässert sein, dass niemand mehr an ihm Geschmack fände und sich alle abwenden würden, ähnlich, wie es bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Buenos Aires geschehen ist. Na denn: Prost, Mahlzeit.
Im Einzelnen
Wenn sich in Deutschland mehr als sieben Gleichgesinnte treffen, gründen sie einen Verein. Was weltweit als typisch deutsche Lebensart angesehen wird, ist nicht von der Hand zu weisen.
Nun hat sich Anfang 2021 ein neuer Verein gegründet, der Verein proTango e.V.:
Die bundesweite Vertretung der Tango Argentino Professionals.
Ziel „Die bundesweite Förderung des Kulturgutes Argentinischer Tango“.
Nach eingehender Lektüre hatte ich am Ende kein gutes Gefühl. Zu viele Ungereimtheiten, falsche Definitionen, unklare Zusammenhänge.
Allein der Begriff „Argentinischer Tango“ ist irreführend und falsch gewählt. Argentinischer Tango ist kein Kulturgut. Eben sowenig wie Pingpong Tennis ist.
Und wer oder was ist ein Professional, der das Kulturgut „Argentinischer Tango“, das es nicht gibt, bundesweit vertritt?
Sind damit in erster Linie die Unterrichtenden gemeint? Auch diejenigen, die keinerlei Ausbildung vorweisen können, außer ein paar Stunden bei hochkarätigen Lehrerpaaren, die zufällig in der Stadt gastierten? Und ansonsten auf YouTube Videos ihre Ausbildung vorangetrieben haben?
Oder sind auch Unterrichtende vertreten, die viel Geld und Zeit in ihre Ausbildung investiert haben, bei namhaften Lehrern?
Die Frage ist berechtigt. Nicht nur ich verfolge mit zunehmender Sorge eine nahezu explosionsartige Vermehrung von „Unterrichtenden“ und „“Musikauflegern“, die ohne umfassende Kenntnisse das einst hohe tänzerische, musikalische und auch soziale Niveau kontinuierlich hinab in den Keller führen, des schnöden Mammons wegen.
Auch zahlreiche TänzerInnen stellen fest, dass das hohe tänzerische Niveau immer dünner besiedelt ist.
Als sei das nicht schon genug Sorge, kommt nun noch ein Verein hinzu, der bundesweit Tangointeressen vertreten möchte und dabei mit falschen Begrifflichkeiten hantiert.
In der Präambel der Satzung steht:
„Tango Argentino“ ist die Kultur der getanzten Umarmung unter Fremden, der tänzerischen und musikalischen Improvisation, der Verbindung und Verständigung ohne Worte. Seit 2009 gehört er (Anm.: Der Tango Argentino) zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Nein, Tango Argentino gehört eindeutig NICHT zum UNESCO-Kulturerbe. Die UN-Kulturorganisation UNESCO bezieht sich hier eindeutig auf den argentinischen UND den uruguayischen Tanz und sieht ihn als schützens- und erhaltenswerte Kunst und Tradition. Und stellt eindrücklich fest, dass der TANGO in Buenos Aires UND Montevideo im Becken des Rio de la Plata entstanden ist und sich von hieraus in die Welt verbreitet habe.
Uruguay, dieses kultur- triefende Land des Tangos noch nicht einmal gedanklich auf dem Zettel zu haben von Vorstand und Mitgliedern, ist schon angsteinflößend hinsichtlich der Absicht den Tango vertreten zu wollen, und das auch noch bundesweit.
Von Professionals, die den Tango vertreten wollen, darf man erwarten, dass sie sich respektabel auskennen und die zweite Säule nicht ausklammern, wie die des uruguayischen Tangos mit seinen Schwergewichten wie Francisco Canaro, Enrique Saborido, Julio Sosa, Carlos Gardel, Manuel O. Campoamor, um nur einige zu nennen.
Auch Horacio Ferrer der uruguayisch-argentinischer Dichter und Tango-Texter von Tangos wie Balada para un loco und Chiquilín de Bachín sollte ebenso bekannt sein wie der in Montevideo (das ist die Hauptstadt von Uruguay) geborene Gerardo Hernán Matos Rodríguez der als junger Student den bekanntesten aller Tangos komponierte „La Cumparsita”.
Nicht von Ungefähr hat der berühmte argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges geschrieben, dass der Tango in den Spelunken im Hafenviertel Montevideos entstanden ist.
Den Begriff „Tango Argentino“ haben meines Wissens nach erstmals
die Tanzschulen des Standard/Latein verwendet, bevor er unbemerkt von der Tangoszene des RioPlataTangos übernommen wurde.
Was auch nicht verwunderlich ist. Immerhin kamen die Impulse für den Tango in der Neuzeit fast ausschließlich aus Buenos Aires. Auch was die Musik und die Tanzlehrerpaare anbelangte. Warum sollte der unbekümmerte Unwissende an der Bezeichnung Tango Argentino etwas Falsches finden? Daher ist in Europa umgangssprachlich gegen diese Verwendung nichts einzuwenden. In Argentinien ist diese Vokabel unbekannt. Hier spricht man schlicht vom Tango.
„Tango Argentino“ ist auch bei Wikipedia fundiert beschrieben, ist aber klar abzugrenzen von dem Terminus „Tango“ den das UNESCO-WELTKULTURERBE definiert und auf den sich der Verein pro Tango e.V. zwar bezieht, aber offensichtlich aus Unkenntnis falsch benennt.
Oder ist hier etwas falsch verstanden worden? Immerhin ist dieser Fehler seitens des Vereins noch immer nicht korrigiert, obwohl von anderer Seite mehrfach darauf hingewiesen wurde. Dieses Verhalten trägt bei den Kritikern nicht gerade dazu bei, verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen.
Was weiterhin für Unbehagen sorgt, prangert ungeniert auf der Startseite.
Was pro Tango nicht macht:
– Wir schaffen keine Angebote, die wirtschaftlich in Konkurrenz zu Mitgliedern stehen
– Wir definieren nicht, was „der echte, wahre“ Tango ist.
– Wir schaffen kein Regelwerk, wie Tango getanzt oder unterrichtet werden sollte
-Wir schränken Tango nicht in seiner Vielfalt ein.
Das zu lesen ist schwere Kost.