Verein proTango e.v.

 

Teil 2: Speziell die letzten beiden Strichaufzählungen erregten mein Interesse.
Hier bekennt sich der Verein eindeutig dazu, kein Regelwerk für den Tango zu schaffen und den Tango in seiner Vielfalt nicht einschränken zu wollen.
Zu meinem großen Erstaunen finden sich aber im Vorstand und unter den Mitgliedern zahlreiche BetreiberInnen und Unterrichtende, die genau das aktiv betreiben, in Form des Encuentro Tangos, der auch auf Close Embrace Veranstaltungen praktiziert wird, bei stringenter Einhaltung des umfangreichen Regelwerkes. 
Diese Form des Tangos liegt ein derart strenges Regelwerk zugrunde, das den Satzungen eines deutschen Schrebergartenvereins um nichts nachsteht. Dem Tango würde ein solches Regelwerk schier die Luft zum Atmen nehmen und ihn um seine Vielfalt bringen.

Diese Betreiber veranstalten Tanzabende, Bälle und Kurse, in denen ein umfangreiches Regelwerk gelehrt und zur Geltung gebracht wird, das als Encuentro bekannt ist. Zudem lehren sie in Kursen und Workshops, dass Encuentro der eigentliche TANGO ist, mit der Folge, dass TeilnehmerInnen und SchülerInnen tatsächlich glauben, sie würden den Tango tanzen. Bedauerlich, weil mit Kalkül wird der Encuentro von den BetreiberInnen nicht als eigenständige Tanzkultur vorgestellt und vermarktet, so wie es beispielsweise die Szene um den Neo-, Nuevo-, Rave-Tango praktiziert.

Die eigennützigen Verhaltensweisen der BetreiberInnen des Encuentro-Tangos bringt den Tango immer mehr in Bedrängnis, wie ich an einem Beispiel erläutern möchte:
Mit der Selbstsicherheit einer zahlenmäßigen Überlegenheit, in der sich die „Encuentros“ in der Tangoszene bewegen, fordern immer mehr „Encuentros“ unverblümt die BetreiberInnnen klassischer Milongas auf, das Regelwerk des Encuentro-Tangos(Close Embrace)  in ihren Milongas zu übernehmen und dauerhaft anzuwenden.

Einige lehnen ab. Andere können der Verlockung höherer Umsätze durch mehr Besucher und mehr Kursteilnehmer nicht widerstehen und veranstalten nun ebenfalls Encuentro-Milongas. Und schon wieder ist ein Stück traditioneller RioPLata Tangokultur flöten gegangen.

Eingedenk dieser Entwicklung scheint es dringend geboten, dass Encuentro-BetreiberInnen eine klare Trennung zwischen Tango und Encuentro-Tango nicht nur vornehmen, sondern auch öffentlich kommunizieren, in Schrift und Bild, denn Encuentro verkörpert nicht ansatzweise den Spirit des Rio Plata Tangos.
Mehr zu diesem Thema ist zu lesen unter „Encuentro – Das Kuckucksei im Tango Nest“.

In dem Bericht der UNESCO zum Weltkulturerbe heißt es sinngemäß nicht umsonst, dass im Tanz Lebendigkeit bestehen muss und nicht in „musealen Vitrinen“ vertrocknen darf und dass sich Tradition mutig wandeln sollte.
Das alles erfüllt Enceuntro-Tango mit seinem starren Regelwerk nicht. Trägt infolgedessen auch nicht zum Weltkulturerbe TANGO bei.

Im Verein proTango e.V. sind nachweislich zahlreiche Vorstände sowie Mitglieder vertreten, die der Encuentro-Tanzkultur dem RioPlata Tango eindeutig den Vorzug geben, obwohl in der Präambel klar formuliert ist
– Wir schaffen kein Regelwerk, wie Tango getanzt oder unterrichtet werden sollte
– Wir schränken Tango nicht in seiner Vielfalt ein.
Nachtigall ick hör dir trapsen!

Freigeist Tango
Tango lässt sich nicht in Regeln und Vorschriften packen. Der Geist ist frei. Der Tanz ist frei. Alles ist erlaubt, um der Musik Gefühl und Ausdruck zu verleihen. Tango ist nicht Social Dancing. Tango braucht für seine Umsetzung vertraute Nähe, die nur mit wenigen TänzerInnen möglich ist. Nicht mit zwanzig unterschiedlichen an einem Abend, wie beim Encuentro-Tango gewollt. Das ist wie Rudelbums. Kann auch mal ganz schön sein. Aber im Tango bumst man vorzugsweise zu zweit (und das gerne zwanzigmal mit ausgewählten Partnern).

Ob sich die „Tango Argentino Professionals“ versammelt im Becken des Verien proTango e.V. in ihrer Rolle als „Kulturverbreiter“ nicht ein wenig überschätzen?
Im täglichen Leben tragen Professionals selbstverständlich zur Förderung und Verbreitung einer Kultur bei. Weil sie gut sind. Weil sie auf Talent und eine lange Ausbildung verweisen können. Wer schlecht ist, geht unter und kann der Kultur keinen Schaden zufügen.
Die Entscheidung darüber treffen kritische Beobachter (Schiedsrichter, Einschaltquote) und wir, das Publikum.
Im Tango verhält es sich anders. Talent ist Auslegungssache, Ausbildung auch und meist nicht vorhanden. Schlechte Professionals bleiben unentdeckt, über Jahrzehnte.
Es fehlen kritische Instanzen ebenso wie kritisches Publikum, das zu ja-sagenden Lorenz’schen Graugansküken mutiert, sobald es die Räumlichkeiten einer Milonga betritt und die herzliche Umarmung zur Begrüßung erfahren hat, flankiert mit Küsschen hier und Küsschen da.
Die im täglichen Leben funktionierende Kritikfähigkeit ist spätestens an der Kasse abgelegt. Die Sucht nach Anerkennung, Zugehörigkeit, Nähe und Sorglosigkeit dominiert.

Allein aus diesem Grunde scheinen mir die „Tango Argentino Professionals (?)“ denkbar ungeeignet, das Kulturgut „Argentinischer Tango (?)“ in seiner ganzen Vielfalt zu fördern, wie es in der Satzung formuliert ist.

Wer Tangokultur fördert, ist die Basis, der Mob in der Subkultur.
Das sind wir TänzerInnen, Musiker, Poeten und nicht, wie in der Satzung aufgeführt
– die Inhaber und Inhaberinnen von Tango-Schulen,
– die Tango-Unterrichtenden
– DJs
– ShowtänzerInnen sowie diejenigen, die mit speziellen
– Tangomoden.
Das, was alle der oben aufgeführten Kulturschaffenden miteinander verbindet, ist mit Tangokultur Geld zu verdienen. Das ist nichts Verwerfliches. Das muss so sein. Es muss Geld verdient werden, um Kultur zu schaffen und zu behalten. Kein Geld, keine Kultur.
Aber MilongabetreiberInnen stellen in erster Linie lediglich nur einen überdachten Raum zur Verfügung, der den Regen abhält. Grund genug, sich zum Tanzen zu treffen. Und aus Dankbarkeit für diese Dienstleistung zahlen wir Eintritte und Getränkepreise. Punkt.

Schön für den Betreiber, schön für die TänzerInnen, wenn er gutes Geld mit uns verdient und uns lange erhalten bleibt.
Schafft er Kultur, indem er Live-Musik anbietet, Workshops mit Showtanz? Nein, die Kultur ist bereits vor Ort, wir. Er macht das einzig aus Gründen des Marketings. Gewinne maximieren. Gut für uns, gut für ihn.
Wer zweifelsohne zur Verbesserung und Verbreitung der Kultur beiträgt, sind die MilongabetreiberInnen, die mit Herzblut bei der Sache und nicht zwanghaft gewinnorientiert unterwegs sind. Man erkennt sie daran, dass sie finanzielle Risiken eingehen, indem sie außergewöhnliche Veranstaltungen organisieren, die man gerne und lange in Erinnerung hält, wie z. B. das Tangofestival in Oldenburg oder die Open Air Veranstaltungen des Chocolate in Hamburg. Auch das Buchen teurer Tanzlehrerpaare und hochkarätiger Orchester sind ein Indiz für „Herzblut-Tango“ ebenso wie das Angebot dauerhafter eintrittsfreier Milongas bei Open Air Veranstaltungen.
Aber wie wir wissen, sind solche MilongabetreiberInnen eher die Ausnahme.

Workshops und Kurse
Auch Workshops und Kurse dienen in erster Linie einzig dem Zweck Geld zu verdienen. Würde kein Geld damit verdient werden, gäbe es keine Workshops. Gäbe es keine Verbreitung der Kultur. Geldverdienen ist also eine Voraussetzung um Kultur verbreiten zu können – nicht nur im Tango. Bedauerlicherweise tummeln sich aber genau hier unter den Unterrichtenden scharenweise unqualifizierte Unterrichtende ohne jegliche didaktische Kompetenz, ohne fundierte Ausbildung (das mit YouTube hatten wir bereits).

Jeder von uns kennt Personen, die seit Jahren Tango tanzen und sich kein bisschen weiterentwickelt haben, trotz regelmäßiger Kursteilnahme.

Wie Unterrichtende der Tangokultur langfristig Schaden zufügen können, möchte ich an einem weiteren Beispiel aufzeigen:
Der Dollar-Tango
Ein sehr bekannter Tangolehrer vertraute mir Folgendes an:
Blieben vor einiger Zeit sieben bis acht Männer dem Tango nach einem Anfängerkurs fern, sind es heute nur noch zwei. Warum? Weil man den Tango vereinfacht hat. Versimpelt. Die schwierigen Dinge lässt man weg, wie zum Beispiel die richtige Haltung, das richtige Gehen etc und verlagert den Schwerpunkt auf einfache Übungseinheiten, die den SchülerInnen schnelle Erfolge bescheren, wie z. B. kleine Schrittfolgen. Sie haben Spaß und bleiben im Kurs. Und die Kasse klingelt mächtig.
Wie würde es um den Golfsport stehen, würde man die Löcher auf einen Durchmesser von einem Meter vergrößern?

Nein, zur Verbesserung des Kulturgutes Tango tragen Unterrichtende nicht per se bei. Auch hier zählt eine fundierte Ausbildung (womit nicht eine Ballettausbildung gemeint ist).

Sind DJ/DJane Kulturschaffende?
Auch dass DJ/DJane/TJ/TJane Kulturschaffende sein sollen, darf stark angezweifelt werden.
Sie gibt es ohne Zweifel, aber sind rar und werden in den seltensten Fällen von MilongabetreiberInnen gebucht. Vornehmlich aus Kostengründen. Und so kommen Tangueras und Tangueros nur selten in den Genuss, einen Rainer Klement (Hamburg) oder Michael Rühl (Berlin) zu hören. Auch keinen Klaus Spiegel (Augsburg), Peter Wenger (Konstanz) oder die bezaubernde Sabine Drescher (München), um nur einige zu nennen.

Stattdessen muss die breite Masse vorliebnehmen mit Hobby-MusikauflegerInnen aus der hauseigenen Fangemeinde oder mit halbwüchsigen, dem Tangotanz nicht mächtigen Personen, die vorgefertigte Tandas downloaden, Tandamusik der EdO bis zum Erbrechen rauf- und runternudeln und es keinen Unterschied machen würde, ob hinter dem DJ-Pult ein solcher Musikaufleger sitzt oder ein virtueller Schimpanse der, vorprogrammiert, die unterschiedlichen Farbtatsen bedient: weiß für Tango, gelb für Milonga, grün für Vals.

Wer will also ernsthaft behaupten, dass DJ/Djane Kulturschaffende seien?

Und inwieweit Tangomoden …,nein, das werde ich nicht kommentieren.

Mitgliedsbeiträge
Warum und zu welchem Zweck Mitgliedsbeiträgen erhoben werden, scheint in der Satzung auch nicht eindeutig geregelt zu sein.

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Hier zu lesen, die Nominierung “Tango” auf der Website von
UNESCO Headquarters in Paris <

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