Encuentro, Social Dancing ..

 

… ein Erfolgsrezept, aber kein Tango. 

Encuentro erfreut sich aufgrund seiner Einfachheit einer großen Beliebtheit, ist jedoch weder Tango noch Tango Argentino.

Die Erklärung für den Erfolg des Encuentro Social Dancing ist einfach und einleuchtend: Alles, was „einfach“ ist, hat Erfolg. Das zeigen Beispiele aus verschiedenen Bereichen: In den Medien sind es Sender wie RTL und VOX oder Zeitungen wie die BILD-Zeitung, die große Reichweiten erzielen.
In der Getränkeindustrie setzen Weltmarktführer wie Budweiser und Heineken auf neutralen Geschmack. Im Gegensatz dazu sind Arte, Phoenix, Die Zeit oder Jever Bier Nischenprodukte für ein spezialisierteres Publikum. 
Wollte man die breite Masse für den Golfsport interessieren, bräuchten die Betreiber nur die Löcher nur auf 1,50 Meter verbreitern und die Abstände zwischen den Löchern auf 10 Meter verringern. 

So hat auch Encuentro, Social Dancing, Close Embrace, hat aufgrund seiner Einfachheit Tausende von Anhängern gefunden. Es ist der zugänglichste unter den Gesellschaftstänzen. Salsa, Standard/Latein und Swing sind allesamt schwieriger zu erlernen. Der getanzte Tango aus Argentinien und Uruguay – der übrigens in Argentinien schlicht „Tango“ heißt und sich auf den Tango de Rio de la Plata (Weltkulturerbe) bezieht – ist noch anspruchsvoller. Im Alltag wird er jedoch immer häufiger als Tango Argentino bezeichnet.

Ein geschicktes Marketingkonzept

Der Encuentro hat sich vom Tango einige Elemente abgeschaut. So übernimmt er die Führung, nutzt die Musik der „Epoca de Oro“ und integriert einfache Schrittfolgen, die leicht erlernbar sind – selbst für Personen ohne tänzerisches Talent. Die Abbrecherquote ist im Vergleich zum Tango deutlich geringer, was langfristig hohe Teilnehmerzahlen bei Tanzabenden und Workshops sichert und für stabile Einnahmen sorgt. Dies wird zusätzlich durch die zahlreichen älteren Tangotänzer*innen unterstützt, die dem Encuentro durchaus seine Reize abgewinnen können. 
Das Führen und Folgen ( → Die hohe Kunst des Folgens), die komplexen Figuren und Schrittfolgen, die den Tango auszeichnen und es ermöglichen, die Musik tänzerisch bildhaft umzusetzen, sind im Encuentro hingegen nicht erwünscht oder sogar verboten. 

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Struktur der Veranstaltungen: Es wird großer Wert darauf gelegt, dass gleich viele Führende und Folgende anwesend sind und dass die Tanzpartner in jeder Pause (Cortina) wechseln. Anders als in der Tangoszene, wo ein Überschuss an Frauen oft für unbefriedigende Milongaerlebnisse sorgen, erleben Frauen in der Encuentro-Szene ein dauerhaftes Tanzvergnügen.

Eingeladen wird nicht öffentlich, wie es im Tango üblich ist, sondern durch persönlichen Kontakt in geheimen (!) Zirkeln wie z.B. Whatsapp-Gruppen.

Diese Symbiose zwischen Einfachheit im Tanz, uneingeschränktem Tanzvergnügen und persönlicher Ansprache ist der Garant für diesen beispiellosen Erfolg, der allen Respekt verdient. 

Ein Schatten über dem Tango

Dieser Erfolg geht jedoch zulasten des Tangos. Unterrichtende und Anhänger der Encuentro-Szene präsentieren „ihr“ Encuentro oft als Tango, ja sogar als den „wahren“ Tango. Doch das ist er nicht. Encuentro verbietet oder blendet viele der Elemente aus, die den Tango in seiner Freiheitsliebe, Improvisationsfähigkeit und Vielfalt auszeichnen. Tango-Aficionados kritisieren diesen Verlust an Authentizität.

Im Tango – ob traditionell, Nuevo, Neo, Non oder Electro – wäre es undenkbar, dass Geheimhaltung, Ausschluss oder strikte Vorgaben darüber, was getanzt oder gespielt werden darf, den Spirit dominieren. Die Encuentro-Praxis des ständigen Partnerwechsels und der festen Regeln widerspricht dem Geist und der Historie des Tangos.

Ein Kulturkonflikt

Die Unterschiede werden besonders deutlich, wenn Neulinge aus der Encuentro-Szene in der Tangoszene aufschlagen. Sie treffen dort auf Techniken wie die offene Tanzhaltung, komplexe Figuren (Boleos, Sacadas, Volcadas, Colgadas) und eine vielfältigere Musikauswahl. Diese Vielfalt irritiert sie oft, da sie in ihrer bisherigen Tanzwelt als „verpönt“ galt. Für viele Tangueras und Tangueros ist es ein Dorn im Auge, wenn Encuentro-Tänzer*innen mit einem begrenzten Repertoire aus kleinen Schritten und enger Umarmung auftreten und dennoch als „große Tänzer“ gelten wollen.

Ein Appell an die Encuentro-Szene

Es bleibt festzuhalten: Encuentro ist nicht Tango, sondern eine eigenständige Tanzrichtung, die sich einige Elemente des Tangos geliehen hat. Der niedrigere Schwierigkeitsgrad und die Einfachheit sind ein Erfolgsfaktor, der Respekt verdient. Doch um Verwechslungen zu vermeiden, sollte die Encuentro-Szene klar kommunizieren, dass sie keinen Tango Argentino anbietet.

Diese Bitte richtet sich besonders an die Unterrichtenden: Nicht alle von ihnen verfügen über eine fundierte Tangoschulung. Einige nutzen den Encuentro, um ihre eigenen Einschränkungen zu kaschieren, und verkaufen ihn als Tango Argentino. Hier ist Vorsicht geboten und ein Blick auf YouTube empfohlen, um sich Showtänze der jeweiligen Unterrichtenden anzusehen, die allerdings rar sind – aus gutem Grund. 

Encuentro und Tango können nebeneinander existieren – aber nur, wenn die Unterschiede klar benannt werden. Es gilt: „Tango ist Tango, und Encuentro ist Encuentro.“ 

Christian Stoll, 05.07.2019

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