Encuentro Tango

Encuentro ist kein Tango, höchstens ein kleiner Teil von ihm. Eine vereinfachte Darstellung von dem, was der Tango in seiner Fülle an tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten hat. 

Encuentro Tango – Das Kuckucksei im Tangonest.

Es wurde schon viel über den Tango geschrieben. Dieser mystische Tanz entstand Ende des 19. Jahrhunderts am Rio de la Plata in Argentinien und Uruguay.
Er wird als leidenschaftlich, grenzenlos, freiheitsliebend, sehnsuchtsvoll und erotisch beschrieben. Encuentro, der fälschlicherweise als eine Art neuer Ableger des Tangos beworben wird, vor allem bei Neueinsteigern, erfüllt jedoch keines dieser Merkmale.

Encuentro-Social Dancing-Embrace-tango
Encuentro tango Social Dancing
Der Encuentro Tango Workshop
Encuentro tango Social Dancing

Was ist Encuentro?
Encuentro verkörpert ein durch Regeln und Verbote gekennzeichnetes  Bewegungsmuster in Form von einfachen Schrittkombinationen, die dem Tango ebenso entliehen sind wie auch die Musik der Epoca de Oro.
Die Encuentroszene ist nicht öffentlich. Zu Encuentroveranstaltungen wird sich diskret in geheimen Foren verabredet, unter Ausschluss der allgemeinen Tangoszene. 

Der Tanz
Encuentro wird ausschließlich in enger Tanzhaltung getanzt, wobei die Füße stets auf dem Boden zu bleiben haben. Boleos, Ganchos, Volcadas, Sacadas und Kicks – all die Elemente, die der Musikinterpretation im Tango dienen, sind beim Encuentro unerwünscht.

 

 

 

Des Weiteren ist das Tanzen streng durch Tanda und Cortina reguliert. Dies betrifft sowohl die Dauer, für die ein Tanzpaar zusammen bleibt, als auch die Auswahl des Tanzpartners. Wenn das Zeichen zur Tanzpause (Cortina) erklingt, wird erwartet, dass die Führenden eine andere Person zur nächsten Tanda auffordern. Es ist unüblich und sogar verpönt, mit demselben Partner zweimal hintereinander zu tanzen. Ein kontinuierlicher Wechsel des Tanzpartners, der im Tango unvorstellbar ist, wird als wünschenswert angesehen und streng beobachtet.

Der Begriff „Social Dancing“ mag für die Encuentro-Szene passend sein, jedoch trifft er nicht auf den Tango zu. Tango hat nichts mit „Social Dancing“ zu tun.

Das Encuentro-Regelwerk legt fest , zu welchem Zeitpunkt die „neuen“ Paare die Tanzfläche für die folgende Tanzrunde betreten dürfen und an welcher Stelle des Carres der Eintritt erfolgen soll. Sobald der Tanz beginnt, ist eine enge Tanzhaltung vorgeschrieben, und es wird eine weitere Vorschrift eingeführt: Es dürfen nur kleine Schritte getanzt werden, wobei – wie bereits erwähnt – die Füße stets auf dem Boden bleiben müssen.

Für die Veranstalter/Milongabetreiber bedeutet das Regelwerk rege Teilnahme und volle Kassen.
Für die Tänzerinnen und Tänzer, dass sie viel Gelegenheit zum Tanzen haben.
Dem Encuentro-Regelwerk, das dem eines streng geführten Schrebergartenvereins ähnelt, müssen noch zwei weitere Regeln hinzugefügt werden:
Die erste Regel betrifft die Musikauswahl. Akzeptiert wird nur Tangomusik aus der Epoca de Oro. Die Tangos aus dieser sehr überschaubaren Zeit werden gnadenlos rauf und runter gespielt, meist von DJs, die selbst kein hohes Tanzniveau haben – weshalb die Musikauswahl insbesondere bei den Führenden oft Fragezeichen hinterlässt –  noch ihr Handwerk verstehen und sich ihre fertigen Tandas aus dem Internet herunterladen.
Die zweite Regel besagt, dass Encuentro-Veranstaltungen nicht öffentlich bekannt gemacht werden. Interessierte sind in geheimen Foren organisiert und verabreden heimlich ihre Tanznächte. Die Tangoszene, die sich sonst in abendlichen Milongas trifft, ist unerwünscht und bleibt ausgeschlossen.

Für die Tangoszene hat Encuentro den Nachteil, dass zahlreiche weniger talentierte Tänzerinnen und Tänzer bedauerlicherweise nicht ausschließlich in ihren Encuentro-Kreisen bleiben, sondern sich mangels Encuentro-Tanzgelegenheiten in die „richtige“ Tangoszene einmischen und dort das tänzerische Niveau deutlich senken.

Der wahre Tango, der Rioplata Tango, ist leidenschaftlich, grenzenlos, freiheitsliebend, sehnsuchtsvoll und erotisch. Das ist die Essenz dieses Tanzes.

Encuentro hingegen fehlt all dies, und aus diesem Grund sollte es sich genau deswegen vom RioPlata Tango distanzieren – genauso selbstverständlich wie es die Nuevo-Szene, die Neo-, Electro-Tango-Szene tut: als eigenständige Tanzform.
Jedoch tut Encuentro genau das nicht! Veranstalter, Milongabetreiber und Unterrichtende vermitteln in Wort und Bild, dass Encuentro Tango ist. Doch das ist Encuentro eben nicht.

Der Tango vom Rio de la Plata ist Weltkulturerbe, ein schützenswertes immaterielles Kulturgut, das erhalten und gefördert werden muss und nicht durch Vereinfachung, Ausgrenzung und ein starres Regelwerk verwässert werden darf. 

Tango: Eine heftige Sehnsucht nach Freiheit.
Von Gloria Dinzel (Autor), ‎ Rodolfo Dinzel (Autor), ‎ Eckart Dietrich (Übersetzer)

Christian Stoll, 9. April 2018

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