Ruhestörung einmal anders.

Das gibt’s doch nicht. Es ist Sonntagmorgen, 5:30 Uhr. Schnarchgeräusche dringen durch meine Gehörgänge und wecken mein Gehirn, das wiederum meine Augen veranlasst, sich unverzüglich zu öffnen. Gemeinsam mit den Ohren versuchen sie, die Störquelle zu orten.
Zorn steigt in mir auf und lässt meinen Blutdruck in die Höhe schnellen.
Welcher Idiot raubt mir den Schlaf?, denke ich. Einer der Nachbarn kann es nicht sein. Ich kenne die Geräuschkulisse im Haus, sie ist mir vertraut. Besuch? Verwandte vielleicht? Oder ein Mitbringsel aus der Nacht, ein One-Night-Stand?

Schnarchern, egal ob männlich oder weiblich, sollte es verboten sein, außerhalb ihrer eigenen schalldichten vier Wände zu übernachten. Nicht in Hotels, nicht in Herbergen, nicht auf Campingplätzen, nicht in Mehrbett-Krankenzimmern und schon gar nicht in fremden Wohnungen.

Ruhestörung Hamburg

Ich stehe am offenen Fenster, die Dose mit der St.Pauli-Druckluft-Fanfare in der Hand und bin fest entschlossen, der Schnarchnase einen gehörigen Schrecken einzujagen.
Doch weder von links noch von rechts wird geschnarcht. Nicht unter mir, nicht über mir. Es schnarcht in gleichmäßigen Zügen eindeutig von vorne.
Wahrscheinlich ein sturzbetrunkenes Überbleibsel der letzten Nacht, das es nicht mehr nach Hause geschafft hat und nun hinter meiner Hecke liegt. Auf dem Rücken liegend, den Kehlkopfdeckel halb verschluckt, schläft es seinen Rausch aus und röhrt dabei wie ein brunftiger Hirsch.
Ich werde ihm zeigen, was es heißt, in aller Herrgottsfrühe meinen Schlaf zu stören — auch auf die Gefahr hin, einen Gehörschaden zu verursachen.

Umständlich winde ich meine Arme in die verwurschtelten Ärmel meines Bademantels und eile zur Tür.
Doch niemand liegt auf dem Gehweg vor meiner Hecke. Nirgendwo ist etwas oder jemand zu sehen, das herumliegt. Aber das Schnarchen ist immer noch laut und deutlich zu hören. Es kommt direkt aus dem Park gegenüber, der gleich hinter der schmalen Einbahnstraße liegt. 

Dieser Mistkerl steckt doch nicht etwa im Gebüsch?
In gebückter Haltung schnüre ich dem Geräusch nach.
Vor einer riesigen, alten Eiche bleibe ich stehen. Und tatsächlich, das Schnarchen kommt von oben. Irgendwo im dichten Grün muss dieser besoffene Kerl im Geäst hängen, wie ein vollgefressener Leopard in der Serengeti. Bloß jetzt nicht die St.Pauli-Druckluft-Fanfare betätigen, schießt es mir durch den Kopf. Nicht, dass er mir auf den Kopf fällt. 

„Können wir Ihnen helfen?” Erschrocken drehe ich mich um.
Ein Polizist lehnt sich interessiert aus dem Fenster des Polizeiautos.
Die Frage ist durchaus berechtigt, wenn ein älterer Herr frühmorgens im Bademantel mit einer St.Pauli-Druckluft-Fanfare in der Hand unter einer Eiche steht und regungslos in die Baumkrone blickt.
„Da oben ist jemand im Geäst”, rufe ich zurück. „Ich habe ihn bis in meine Wohnung schnarchen hören. Ich wohne da drüben”, sage ich und zeige mit dem Arm in Richtung des Polizeiautos.

Der Polizist im Wagen dreht sich kurz zu seinem Kollegen um, bevor er mir mit einem breiten Grinsen im Gesicht zuruft: „Das Schnarchen, das Sie gehört haben, kommt von einer Schleiereule, die hier im Park ihr Revier hat. Sie sind nicht der Erste, der auf sie reingefallen ist. Also, einen schönen Tag noch!”, hebt den Arm und fährt davon.

Zu Hause angekommen, google ich sofort nach Schleiereule. Und tatsächlich, das Schnarchen aus dem Video ist identisch mit dem, was ich die ganze Zeit gehört habe. Jetzt verstehe ich auch, weshalb es im Volksmund heißt: “Eulen nach Athen tragen”.